Whistleblowing-Richtlinie ohne Umsetzung

Vor mittlerweile über zwei Jahren wurde auf europäischer Ebene in Gestalt der EU-Richtlinie 2019/1937 der rechtliche Rahmen für einen unionweit homogenen, umfangreichen Schutz von Hinweisgebern, allen voran durch die Implementierung entsprechender Meldesysteme vorgegeben. Nachdem ein Referentenentwurf vom November 2020 in der letzten Legislaturperiode gescheitert war, verstrich nun im Dezember vergangenen Jahres die Frist zur Umsetzung in nationales Recht. Gleichwohl wird laut Koalitionsvertrag eine überschießende Umsetzung angestrebt, die die Hinweisgeber:innen nicht nur bei Aufdeckung von EU-Rechts-Verstößen vor Nachteilen bewahren will, sondern bzgl. jeglichem Fehlverhalten, das es aufgrund eines besonderen öffentlichen Interesses offenzulegen gilt.

Während die EU-Richtlinie für die Dauer einer zweijährigen Schonfrist nur Unternehmen mit einer Größe von mindestens 250 Beschäftigten erfasst, soll die nationale Umsetzung von Anfang an ab 50 Arbeitnehmer:innen Geltung beanspruchen. Für juristische Personen des öffentlichen Rechts, u. a. Behörden und Kommunen, kann eine solche Ausschlussmöglichkeit anhand der Mitarbeiter- respektive Einwohnerzahl nur durch das Umsetzungsgesetz eröffnet werden – die Richtlinie selbst greift bei staatlichen Stellen zunächst größenunabhängig. Der Schutz, den die betreffenden Stellen durch Meldeeinrichtungen zu gewährleisten haben, wird ergänzt durch eine Beweislastumkehr bei arbeitsrechtlichen Maßnahmen. Im Rahmen einer Kündigung z. B. müssen dann Arbeitgeber:innen den Beweis führen, dass kein Zusammenhang mit einer etwaigen Meldung besteht.

Doch welche Wirkung entfaltet die Richtlinie, solange hierzulande kein Hinweisgeberschutzgesetz verabschiedet wurde? Grundsätzlich wirkt eine EU-Richtlinie nicht unmittelbar. Für den privaten Sektor ändert daran auch der Ablauf der Umsetzungsfrist nichts. Mit Blick auf den öffentlichen Sektor ließe sich jedoch, bei hinreichender inhaltlicher Bestimmtheit, die vorliegend bejaht werden kann, eine unmittelbare Geltung seit Fristablauf annehmen. Aber auch das Privatrechtsverhältnis kann durch richtlinienkonforme Auslegung von Generalklauseln doch schon mittelbarer Wirkung ausgesetzt sein.

Im Ergebnis empfiehlt sich eine zeitnahe Anpassung an die Richtlinienvorgaben, besser noch, an die zuerwartenden Vorgaben des deutschen Gesetzgebers.

 

Autor
Felix Grünebaum, wissenschaftlicher Mitarbeiter
Veröffentlicht am:
6/4/2022
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